Erinnern und Genken - Who is remembered lives

Um die Erinnerung an Menschen lebendig zu halten, die an den Folgen ihrer HIV Infektion verstorben sind, haben wir in der Aidshilfe Hamburg schon viele Jahre einen kleinen Ort des Gedenkens. Wir schreiben die Vornamen, uns bekannter Personen, auf kleine Steine und setzen sie neben einen frischen Strauß Blumen. 

Diese kleinen Gedenksteine erinnern uns aber auch immer wieder daran: Aids ist noch nicht vorbei. Noch immer werden in Deutschland viel zu viele Menschen mit Aids oder einem sehr weit fortgeschrittenen Immundefekt diagnostiziert. Ein Skandal, denn aus medizinischer Sicht ist eine Aids-Diagnose nicht zu rechtfertigen. Das Problem hat hier einen Namen: Stigma. 

Und so sind es jedes Jahr wieder neue Namen, neue Geschichten, die sich mit diesem Ort verbinden. 

Ein Interview mit einem Mitarbeiter der Aidshilfe Hamburg über die tragische Geschichte von P.

Du hast P. in einer sehr schwierigen Lebensphase kennengelernt. Kannst Du uns ein wenig über ihn erzählen?

Er war ein lebensfroher, junger Mensch, Lehrer an einem Gymnasium, leidenschaftlich in seinem Beruf. Doch er hatte nie ein wirkliches Coming-out als schwuler Mann. Vermutlich hatte er sich bei einem seiner ersten sexuellen Kontakte infiziert, der selbst nichts von seiner HIV-Infektion wusste. Und da er keinerlei Beschwerden hatte, kam er nie auf die Idee, sich testen zu lassen.

Wann wurde seine Infektion erkannt?

Viel zu spät. Erst als er schwer krank wurde und die Symptome von Aids einsetzten, stellte man die Diagnose. Da hatte das Virus bereits großen Schaden angerichtet – vor allem im Gehirn und Nervensystem. Er erlitt epileptische Anfälle, konnte seine Beine nicht mehr bewegen, hatte eine Aphasie und war am Ende nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen, oder in seinem Job als Lehrer weiter zu arbeiten. 

Wie hat sein Umfeld darauf reagiert?

Seine Familie war völlig überfordert. Bis dahin wusste niemand von seiner Homosexualität oder der HIV-Infektion. Seine Schwester suchte schließlich Unterstützung bei uns in der Aidshilfe Hamburg. Doch die Umstände, unter denen er lebte, waren katastrophal: Er kam in ein Seniorenheim, musste sich ein Zimmer mit einem dementen Mann teilen. Personalmangel und eine „sauber-satt-Versorgung“ bestimmten den Alltag – eine schlimme Situation für einen jungen Mann.

Wie konntest Du ihm denn konkret helfen?

Es war klar, dass sich an seiner “Wohnsituation” etwas ändern musste. Aber leider gibt es auch in einer großen Stadt wie Hamburg nur wenige Einrichtungen, die auf die Bedürfnisse junger Menschen mit Pflegebedarf spezialisiert sind. Erst nach eineinhalb Jahren in diesem Seniorenheim gelang es uns, für P. einen Platz in einer Behinderteneinrichtung zu finden. Dort bekam er ein eigenes Zimmer, feste Betreuung und die nötige medizinische Versorgung.

Hat sich sein Zustand dort verbessert?

Ja, deutlich. Durch Ergo-, Logo- und Physiotherapie, die wichtige psychologische Unterstützung und soziale Aktivitäten blühte er auf. Auch die regelmäßige Einnahme seiner HIV-Medikamente stabilisierte ihn. Er fühlte sich akzeptiert – seine Homosexualität und HIV-Infektion spielten im Umgang keine Rolle, weder bei den anderen Bewohnern noch beim Personal.

Aber irgendwann wurde es gesundheitlich wieder schlimmer? 

Leider ja. Nach fast anderthalb Jahren in der Einrichtung starb P. plötzlich und unerwartet. Vermutlich war sein Körper durch die späte Diagnose so geschwächt, dass er einen unvorhergesehenen Hirninfarkt erlitt.

Welche Lehre ziehst Du aus seiner Geschichte?

Persönlich? Mehr “Carpe Diem”. Und grundsätzlich der Appell: Lass dich testen! P.s Schicksal zeigt, wie wichtig es sein kann, frühzeitig Gewissheit zu haben. Aids ist nicht vorbei. Eine rechtzeitige Diagnose hätte ihm ein längeres, gesünderes Leben ermöglichen können. Einen der anonymen Tests, die wir beispielsweise bei uns anbieten, hätten ihm viel ersparen können. Aber, das sagt sich im Nachhinein natürlich so leicht. Nicht umsonst haben Menschen Bedenken, oder auch Angst vor dem Test und dem “vielleicht Ergebnis”. Auch P hatte gute Gründe.

Nun gibt es bei uns ja die kleine Ecke “Namen und Steine”. Wirst Du P. einen Gedenkstein ins Fenster legen? 

Ja, seit vielen Jahren gibt es in der Aidshilfe Hamburg eine Gedenkecke für diejenigen, die wir verloren haben. Ich finde sie sehr schön. Und sie erinnert uns daran, warum unser Engagement so wichtig ist und bleibt. Nicht nur die Antidiskriminierungs- Antistigma- Solidaritätsarbeit, sondern auch immer wieder die medizinischen Erfolge von UequalU / Nichtinfektiösität zu thematisieren. Und ja. Auch P.s Namen werden wir dort sehen und uns lange noch an ihn und seine Geschichte erinnern. 

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